Medien und Kommunikation
Wissenschaft als selbstreferentielles System in der Legitimationsfalle der
Mediengesellschaft ?
Ein gemeinsames Kolloquium von
PIK Potsdam Institut für Klimafolgenforschung
und
HFF Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Potsdam-Babelsberg
Dienstag, 14. Juni 2011, 18 Uhr,
HFF Hochschule für Film und Fernsehen, Marlene-Dietrich-Allee 11,
Videovorführung Raum 2115
Für wen generiert Wissenschaft Wissen? Erstens für sich selbst. Die Veröffentlichungen
zielen auf die Kollegen und die eigene Karriere. Die Sprache ist in der Regel elitär und
schließt Laien aus. Es ist ein selbstreferentielles System, das sich durch ein ihm eigenes
Verfahren von der Umwelt abgrenzt. Wissenschaftliche Forschung unterliegt in Zeiten
technologischer Umbrüche, einer steigenden gesellschaftlichen Sensibilität in Bezug auf die
Verantwortung von Wissenschaft und deren Folgen und knapper öffentlicher Kassen einem
immer stärker werdenden Legitimationsdruck.
Während sich also die Wissenschaft ausdifferenziert und von der Gesellschaft weitgehend
separiert, folgen die Massenmedien einer anderen Rationalität, die vor allem Unterhaltung
und vordergründige Wahrnehmung durch die Rezipienten in den Fokus rückt.
Wie muss sich Wissenschaft in der Mediengesellschaft positionieren? Wie können
Kommunikationsbarrieren zwischen Wissenschaftlern und Medienmachern überwunden
werden? Wie könnte ein gelungener Medienproduktionsprozess in einer interdisziplinären
Zusammenarbeit aussehen?
Begrüßung: Prof. Dr. Jürgen Kropp, PIK
Impulsbeitrag: Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, HFF
Es diskutieren:
Prof. Dr. Heiner Mühlmann, Kulturtheoretiker, Professor für Rhetorik,
ZHdK Zürich und HfG Karlsruhe
Prof. Dr. Wolfgang Lucht, Physiker,
Leiter des PIK-Forschungsbereichs „Klimawirkung und Vulnerabilität“
Wolfgang Huncke, ehem. Chefredakteur „Bild der Wissenschaft“
(angefragt)
Moderation: Thomas Prinzler, Wissenschaftsredakteur Inforadio (rbb)
Sie sind herzlich eingeladen.
Kolloquium am 14.06.2011
Wissenschaft als selbstreferentielles System in der Legitimationsfalle der Mediengesellschaft?
Impulsbeitrag
Klaus-Dieter Müller, HFF
Begrüßung.
Lassen Sie mich zunächst aufklären, warum PIK und HFF heute zu diesem Thema ein gemeinsames Kolloquium durchführen. Beide Einrichtungen sind Träger des FORMAT-Forschungsvorhabens „Climate Media Factory“. Bundesregierung und EU wollen, dass Medienwissenschaftler/innen die Kommunikation der Klimafolgenforscher evaluieren, Kommunikationsprozesse begleiten und bewerten. Sodann sollen beide Forschungspartner gemeinsam neue Kommunikationsstrategien, Medien und Formate für eine erweiterte Kommunikation identifizieren und Prototypen herstellen.
Da gilt es auch, folgende Fragen beantworten zu helfen:
- Für wen generiert Wissenschaft Wissen?
- Wer sind die Zielgruppen ihrer Kommunikation?
- Mit welchen Mitteln kann/soll die Kommunikation stattfinden?
Für wen generiert Wissenschaft Wissen?
Zunächst für sich selbst. Die Veröffentlichungen und das sich gegenseitig zitieren zielen auf die Kollegen und die eigene Karriere. Wissenschaft ist eines der Teilsysteme, die sich in unserer Gesellschaft ausdifferenziert haben, und die Grenzen zwischen ihnen sind nur schwer zu überschreiten. Es handelt sich um ein selbstreferentielles System im Sinne Luhmanns, aber Spezialsprachen, methodische Spezialisierung und relative Abgeschlossenheit befördern auch die Effizienz dieses Teilsystems.
Wissenschaft generiert Wissen aber auch für Arbeitsplätze, wirtschaftliches Wachstum und persönlichen Profit. Jedes neu entwickelte Medikament etwa wird auch marktwirtschaftlich verbreitet und Gewinne hieraus privatisiert. „Wissen“ fließt also nicht per se der „Gesellschaft“ zu.
Wissenschaftliche Forschung unterliegt in Zeiten gewaltiger Aufgabenerweiterungen der öffentlichen Haushalte (nicht zuletzt durch transnationale und globale Risiken) einem immer stärker werdenden Legitimationsdruck, denn der Steuerzahler, der zugleich Wähler ist, versteht Wissenschaft nicht, soll sie aber wirtschaftlich tragen.
Der Bielefelder Wissenschafts- und Technikforscher, Peter Weingart, formuliert es so:
„Die Institution der Wissenschaft trägt nach wie vor Züge eines Standes: Sie existiert in relativer Abgeschiedenheit, ihre internen Operationen und ihre Produkte bleiben der Öffentlichkeit fremd – bis sie ihre Wirkung in Gestalt konkreter Verfahren und Technologien entfalten, auf die Einfluss zu nehmen dann kaum noch möglich ist. Unterstützung für die Wissenschaft wird durch die Öffentlichkeit notgedrungen weitgehend ´auf Kredit´ und `guten Glauben` gewährt. Genau das scheint sich aber zu ändern. (Peter Weingart: Die Wissenschaft der Öffentlichkeit. Essays zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit, Weilerswist 2005)
Vor allem aber hat sich unser Verständnis von Wissenschaft verändert. Die Grenze zwischen angewandter und akademischer Forschung ist fließend. Nutzenerwägungen sind in den Mittelpunkt gerückt. In unserer kapitalistischen, wettbewerbsorientierten und um die Schaffung von Arbeitsplätzen bemühten Gesellschaft sind Staat, Universitäten und Unternehmen schon lange strategische Partnerschaften eingegangen. Die „Drittmittelakquisitionspflicht“ ist doch ein bedeutender Anteil jeder Lehrstuhlfinanzierung. Die Frage, wo sich eine Einrichtung zwischen Grundlagenforschung und Kommerzialisierung von ihrem Selbstverständnis her positioniert, ist übrigens auch ein Aspekt der Wissenschaftskommunikation.
Moderne Gesellschaften erheben zunehmend den Anspruch, mit „Wissenschaft“ ein Verfahren entwickelt zu haben, dass die Gewinnung und eben auch Vermittlung eines intersubjektiv überprüfbaren Wissens darstellt. Was die Bevölkerung aber an Wissen vermittelt bekommt, geschieht vor allem über die Medien – es entstehen komplexe Koppelungsprozesse. In historischer Perspektive sind die Ursachen hierfür die Entstehung der massendemokratischen Öffentlichkeit und die wachsende Distanz der Wissenschaft zu ihr, während gleichzeitig in der Mediengesellschaft zwei Kategorien an Bedeutung gewannen: nämlich der Nachrichtenwert und das Unterhaltungsbedürfnis.
Es entsteht eine paradoxe Situation: Die Wissenschaft als Teilsystem der Gesellschaft grenzt sich aus und hat daher kaum einen Nachrichtenwert, sie ist institutionell und kommunikativ von der Gesellschaft getrennt. Gleichzeitig erhebt die Öffentlichkeit den Anspruch auf Teilhabe, Kontrolle und Nützlichkeit. Die Medien als Träger der Öffentlichkeit wiederum tun sich schwer mit der Vermittlung von wissenschaftlichen Prozessen und Ergebnissen, weil der Unterhaltungswert fehlt.
Wie lösen wir dieses Paradoxon auf? Sind komplexe Sachverhalte auch unterhaltsam zu vermitteln?
Lassen Sie mich in diesem Kontext abschließend von einer kleinen Begegnung erzählen. Vor wenigen Wochen saß ich zusammen mit den für die Weiterbildung zuständigen Mitarbeitern von Kammern und Unternehmerverbänden in Brandenburg. Die Herren berichteten, dass viele junge Menschen in der Region nicht mehr weiterbildungsfähig seien. Man käme an sie mit den gewohnten didaktischen Methoden nicht mehr heran. Die Lösung aber kann doch nicht sein, wir lassen ganze Bevölkerungsteile geistig verelenden. Auch hier bleibt festzustellen: Die Lebens- und Mediennutzungsformen und mit ihnen auch die Wahrnehmungs- und Lerngewohnheiten haben sich verändert. Es ist aber die Pflicht der Verantwortlichen, sich auch didaktisch auf die Realität einzustellen. In diesem Zusammenhang ist Wissensvermittlung Bringeschuld von Politik, aber auch von Wissenschaft selbst.
In diesem Sinne entwickelt die Climate Media Factory zurzeit gerade eine Animationsserie für Kinder, Browser-Games für das Internet und in Zusammenarbeit mir Granada-TV „Doku-Soaps“ fürs Fernsehen. Seriöse Inhalte sind auch in Medien und Formaten erfolgreich zu vermitteln, die Wissenschaftler/innen selbst nie anschauen würden, die aber eine breite Öffentlichkeit erreichen und so Wissenschaft legitimieren helfen. Was gerade auch von der Climate Media Factory zu beweisen ist!
Vielen Dank.
Klaus-Dieter Müller
Christliche Werte in einer säkularen Medienwelt:
Wie beeinflussen die Medien unsere Kinder? Woran werden sie zukünftig glauben?
Rotary Club Kloster Zinna, 29. Oktober 2010, Kirche St. Sebastian in Baruth
Sehr geehrter Herr Rittgerott, verehrte Damen, meine Herren,
ich freue mich sehr, hier zu Ihnen sprechen zu können. Es geht um die Frage, ob und welche christlichen Werte in unserer vielfältigen Medienwelt auch weiter Bestand haben werden? Wie unsere Kinder durch die säkularen Medien sozialisiert werden? Und was zu tun bleibt?
Ich werde als Medienwissenschaftler an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg, Brandenburgs einziger Kunsthochschule und Deutschlands ältester und zugleich modernster Film- und Medienhochschule, aber auch als Vorstand der „Stiftung Christliche Werte leben“ ständig mit diesen Fragen konfrontiert. Die Stiftung „Christliche Werte leben“ ist ein Zusammenschluss von engagierten Menschen und Organisationen, denen es darum geht, mit öffentlich wirksamen Angeboten die Menschen zu erreichen und auf durchaus unterhaltsame Weise über christliche Werte und ihre Orientierungskraft selbstbewusst zu informieren. Es handelt sich um eine ökumenische private Stiftung.
Ich möchte meinen Worten vorausschicken: Ich bin kein Kulturpessimist! Und ich vertrete die Überzeugung, dass technologische Prozesse nicht aufzuhalten sind, aber von uns gestaltet werden können und müssen.
Ich möchte Ihnen zunächst einen kurzen Überblick über die Medien-Nutzungsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen geben und dabei die Vielfalt der Medienendgeräte beschreiben. Sehen Sie mir bitte nach, dass ich die ein oder andere Zahl nennen muss.
Im zweiten Teil meines Vortrags will ich über die Folgen der Medienrealität sprechen.
Ich will mich dann auf die Spurensuche nach christlichen Werten in der Medienwelt machen, vor allem deren Akzeptanz und mögliche Perspektive beschreiben.
Abschließend gestatten Sie mir bitte einige persönliche Schlussfolgerungen zu den Ursachen der Veränderungen wertebezogenen Verhaltens in unserer Gesellschaft und zu möglichen Handlungsoptionen.
Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen
Zunächst einige Informationen zur Präferenz von Medien unter Kindern und Jugendlichen und der Nutzungsdauer dieser Medien:
Das Fernsehen hat sich als Leitmedium selbst für ältere Kinder behauptet. In Ausgabe 4/2010 der führenden Fachzeitschrift Media Perspektiven wird berichtet, dass 68% der 12-13-Jährigen nach eigenen Angaben täglich fernsehen, Internet- und Onlinedienste nutzen 41% täglich. Erst im weiteren Jugendalter schiebt sich dann immer stärker die Internet-Nutzung vor das Fernsehen. Die Sehdauer beträgt bei den 3-13-Jährigen zwischen 80 und 100 Minuten täglich, bei den älteren Kindern 226 Minuten täglich, also ca. 4 Stunden durchschnittlich.
In Bezug auf die Internetnutzung spricht die Shell-Studie 2010 von 12,9 Stunden wöchentlicher Internetnutzung, wobei männliche Onliner ca. 15 Stunden im Netz sind, weibliche lediglich 10,7 Stunden. Gehen Sie davon aus, dass Ihre Kinder neben den vier Stunden am Fernseher auch 2 Stunden täglich im Netz surfen und kommunizieren.
Hinzu kommt eine intensive Handynutzung, Videos, DVDs, Games und natürlich der Musikkonsum. Wo bleibt das gute Buch, die tägliche Zeitung, die unser Leben so geprägt haben? Die häufigste Freizeitbeschäftigung bei den 12-25-Jährigen ist die Internetnutzung mit 59%, gleichauf mit dem „Sich mit Leuten treffen“. Bezüglich des Medienkonsums folgen Musikhören (56%), Fernsehen (54%), Bücher lesen (27%), Videospiele (21%), Videos/DVD (20%), Zeitschriften geben nur noch 8% der Jugendlichen an. Tageszeitungen werden so gut wie gar nicht mehr gelesen. (Quelle: Shell-Studie 2010: 96-97)
Viel wichtiger als das „Wie lange“ ist natürlich das „Was“. Welche Inhalte werden gesucht und konsumiert?
Die 3-13-Jährigen verbringen den größten Anteil ihrer Fernsehzeit bei SuperRTL. Von den 88 Minuten täglicher Sehdauer entfallen auf SuperRTL 19 Minuten, 14 Minuten auf den KIKA und jeweils 8 Minuten auf Nickelodeon, RTL und ProSieben. Bei den TOP 10 wurden im Jahre 2009 von den Kids genannt: „Unser Sandmännchen“ und „Gute Nachtgeschichten“, bei den einzelnen Sendungen „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“, Zeichentrickformate usw., aber auch Castingshows, wie „Das Supertalent“ bei RTL oder DSDS. Bei den Mädchen punkten die Castingshows deutlich besser als in der Gesamtbetrachtung. (Quelle: Media Perspektiven 4/2010: 191) Die Fernsehnutzung von Kindern, aber auch von Jugendlichen ist relativ stabil geblieben, die entscheidenden Veränderungen finden vor allem im Internet statt:
War das Internet bislang vor allem ein Informationsmedium, hat es sich in den letzten Jahren immer mehr auf Sozialkontakte ausgerichtet. Es haben sich Soziale Netzwerke durchgesetzt, die Menschen mit ähnlichen Interessenlagen zusammenführen: Social News Sites (http://www.dig.com oderhttp://www.yigg.de) lassen in der Community über Nachrichtenartikel abstimmen. Was auf die Titelseiten der populären Social News Sites gelangt, inspiriert Blogger, Journalisten und andere Multiplikatoren zu neuen Aktivitäten. Hier sind Spielräume fürs Agenda-Setting, ich beeinflusse die Berichterstattung. Über Social Bookmarking Sites (http://www.delicious.com oder http://mister-wong.de) identifizieren und speichern viele ihre Websites-Favoriten, um sie jederzeit standortunabhängig wieder abrufen zu können. In den sozialen Netzwerken treffen sich Menschen mit gemeinsamen Interessen zum ständigen Gedankenaustausch (http://www.facebook.com oderhttp://www.myspace.com oder http://www.xing.com oder http://www.linkedin.com oderhttp://www.studivz.net und andere). Und genau hier findet meiner Überzeugung nach eine sehr wichtige Entwicklung statt, die unsere besondere Aufmerksamkeit verdient.
Folgen der Mediennutzung durch Kinder und Jugendliche im Internet
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Folgen der skizzierten Medienrealität zunächst im Internet zu sprechen kommen. Soziale Netzwerke hören sich so uneingeschränkt positiv an, so sozial. Und in der Tat, unabhängig von geschäftlichen Aktivitäten, neudeutsch als Social Media Marketing bezeichnet, kann ich hier alte Bekannte wiederfinden, von denen ich jahrelang nichts gehört habe und auch Feiern und Treffen organisieren oder von solchen erfahren. Aber aktive Teilnehmerinnen in diesen Communities müssen unentwegt Statusmeldungen ertragen und fühlen sich allzu häufig auch genötigt, Angebote ihrer Freunde anzunehmen. Ich habe mehrfach beobachten können, wie Freunde andere Teilnehmer bei facebook aufgefordert haben, sich mit ihnen im Rahmen sog. Casual Games zu messen. Spielegemeinschaften im Netz kosten Zeit und verführen. Hier werden ohne Zweifel schleichend Abhängigkeiten geschaffen. Ich stimme dem Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hellersdorf zu, wenn er sagt, „angesichts der Diskussion um die Gefahren durch Killerspiele, bei denen Jugendliche die Perspektive bewaffneter Schützen einnehmen, drohen die leiseren Gefahren unterzugehen.“ (Oliver Bilke in: Süchtig nach der Scheinwelt: www.zeit.de/online/2009/15/medienambulanzen-berlin)
Ich möchte einen Blick auf Tabubrüche im Internet werfen und bleibe bei den Social Networks, den Sozialen Netzwerken im Internet. Ich habe eine 27jährige Tochter und eine 9 Jahre alte Enkelin, die aber 360 km von mir entfernt wohnen. So hatte ich mich daran gewöhnt, bei den alle zwei Monate stattfindenden Besuchen meiner Kinder insbesondere von meiner Enkelin zu erfahren, was so alles im Berichtszeitraum geschehen war. Denn noch ist Opi ja der beste Freund, bei dem man sich mal so alles von der Seele reden kann, wenn Mama morgens noch schläft. Bis eines Tages meine deutlich jüngere Lebensgefährtin, die auch noch zu den sog. „Digital Natives“ gehört, also zur eingeborenen Generation Internet, die mit Wikis, Blogs und Social Networks aufgewachsen ist. Die Mehrheit hier im Saal gehört zu den „Digital Immigrants“, also zu den digitalen Einwanderern, die das Internet und die „Neue Digitale Welt“ erst im Erwachsenenalter kennengelernt haben. Sie wissen doch: Irgendwo sind wir alle Migranten. Sie verwies auf meinen kürzlich geäußerten Plan, meine Tochter befragen zu wollen, wie es um ihre Beziehung zu dem mir vorgestellten Freund stehe. Sie sagte: „Du brauchst sie nicht mehr zu fragen. Es steht alles bei facebook.“ Mir ist diese Welt, oder besser gesagt, die Leichtgläubigkeit, in dieser digitalen Welt so zu leben, fremd, habe ich mich gegen Volkszählungen gewehrt, weil für mich der Datenschutz nicht gesichert schien. Trotz vieler Versicherungen der Netzwerkbetreiber, keine Daten aus den Netzwerken heraus Dritten zugänglich zu machen, warne ich eindringlich. Z. B. bei facebook verschmelzen immer mehr berufliche und private Kontakte: Niemand kann sich sicher sein, wer wann welche Informationen sehen kann.
Die Medienwissenschaftler sind sich einig: Je jünger die Internetnutzer, desto häufiger tauschen sie sich online über Tabuthemen aus. So tauschen sich 10% der 16-20-Jährigen Männer im Netz über ihre Gewaltfantasien aus, 18% sind es beim Thema „Probleme in der Sexualität“ Jeder 4. Nutzer zwischen 16 und 39 greift auf Pornos und Sexinhalte im Netz zurück, jeder Siebte beschäftigt sich mit Gewalt verherrlichenden Darstellungen und rassistischen Inhalten. Das Fehlen des direkten Gegenübers bei der Onlinekommunikation und damit der anonymere Charakter erleichtern insbesondere den 16-20jährigen Männern den Austausch über Tabuthemen.
Meine Tochter war erschrocken, als ich ihr meine Kenntnisse über ihr Privatleben vorhielt. Peinlich war es ihr aber nicht. Es blieb auch ohne Folgen. Anders bei der jungen Mitarbeiterin eines bekannten Unternehmers, die sich über ihre Kündigung wunderte, die ihr vorgelegt wurde, weil sie sich im Internet über ihren Chef lustig gemacht und ehrabschneidende Behauptungen in die digitale Welt gesetzt hatte. Aber auch im digitalen Dorf wird aus Erfahrung kaum einer klug. Ich kann auch weiterhin alles über meine Kinder bei facebook erfahren und allen Chefs rate ich mal einen Besuch in den Sozialen Netzwerken. Schauen Sie, ob es dort Hinweise gibt, wie Sie und Ihr Unternehmen von Ihren Mitarbeitern gesehen werden und welche Neigungen und Einstellungen Ihre Mitarbeiter haben. Das kann ihren Gesichtskreis erheblich erweitern und ihr Selbstbild deutlich verändern.
Einiges übers Fernsehen
Sie halten, wie viele, das Fernsehen für harmloser als das Internet. Lassen Sie mich Ihnen jetzt einige wenige Ausschnitte aus Nachmittagssendungen im deutschen Fernsehen kurz zeigen. Wir nehmen uns bitte 5 Minuten Zeit für einen aktuellen Mitschnitt. Ich entschuldige mich im Voraus, Ihnen diese Ausschnitte an einem geweihten Ort zu zeigen, aber der Realität sollte man auch in der Kirche in die Augen schauen:
Mitschnitt/Zusammenstellung TV-Ausschnitte
So viel zu den Themen Erniedrigung von Menschen und Werte in den Medien. Ich gehöre nicht zu denen, die Fernsehkonsum ablehnen. Ganz im Gegenteil. Es gibt großartige Informations- und Unterhaltungsangebote im deutschen Fernsehen, aber wir, die wir uns heute hier versammelt haben, wählen aus, selektieren und entscheiden bewusst, was uns erreichen soll und was nicht. Das aber ist völlig anders bei jungen Menschen und ihrem Medienkonsum, je weniger sich Eltern verantwortlich zeigen, umso weniger gefiltert treffen diese Darstellungen unseren Nachwuchs und prägen ihn auch.
Risiken für Psyche und Körper durch übermäßigen Medienkonsum
Lassen Sie mich Aussagen zitieren, die Andreas van Egmond-Fröhlich von der Kinder-Reha-Klinik in Bad Kösen und andere zum Thema Risiken für Psyche und Körper durch übermäßigen Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen auf aerzteblatt.de veröffentlicht haben und diese ergänzen um Ergebnisse einer schon einige wenige Jahre alten Studie zu Gewalterfahrungen, Schulabsentismus und Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen, an der auch der bekannte Kriminologe Christian Pfeiffer aus Hannover mitgewirkt hat. Man mag über die Ergebnisse in Bezug auf ihre Intensität und Nachhaltigkeit streiten können, aber Sie gewähren einen ersten Überblick über die Diskussion zu Risiken und möglichen Auswirkungen auf Psyche und Körper unseres Nachwuchses:
- Aggressives Sozialverhalten: Kinder mit exzessiver Nutzung interaktiver Medien zeigen häufig aggressive Verhaltensweisen. Obwohl die Kausalität komplex ist, ergibt sich auch unter detaillierter Berücksichtigung der psychosozialen Rahmenbedingung eine schwache direkte Wirkung des Mediengewaltkonsums auf die Gewalttätigkeit. Etwa 5-10% der Jugendlichen lassen sich offenbar auf der Grundlage von familiären und sozialen Belastungsfaktoren (zum Beispiel innerfamiliärer Gewalt, emotionaler Vernachlässigung oder Schulversagen), durch aggressive Medieninhalte langfristig in ihren Identifikations-und Handlungsmustern beeinflussen. Nach Pfeiffer u. a. steht die Nutzungsdauer in keinem signifikanten Zusammenhang mit anschließenden strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen. Sondern es ist die Art der präferierten Inhalte, die mit delinquenten Verhalten in Zusammenhang stehen. Die Studie kommt zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Von denjenigen Jugendlichen, die sowohl Fernseher als auch Spielekonsole im Zimmer haben, die häufiger Horrorfilme schauen und die häufiger Kampfspiele spielen, haben 44,5% im letzten Jahr mindestens eine Gewalttat begangen, 20% gehören zu den Mehrfachtätern (N=219). Jugendliche, für die diese Umstände nicht zutreffen, weisen eine Prävalenzrate von 4,2% und einen Anteil an Mehrfachtätern von 0,4% auf (N=1316). (Dirk Baier, Christian Peiffer u.a., Schülerbefragung 2005: 173)
- Soziale Integration, Selbstwertgefühl, Körperbild und Lebensqualität: Die Mediennutzung verdrängt andere Aktivitäten mit Gleichaltrigen und Familienmitgliedern und beschränkt den sozialen Kontakt und soziale Akzeptanz. Hier entsteht ein Circulus vitious. Das in den Medien propagierte Körperbild – weibliche Models haben Untergewicht, die männlichen Darsteller sind muskulös – ist unrealistisch, aber die Körperzufriedenheit sinkt nach dem Betrachten solcher Bilder. Es kommt zu gestörtem Essverhalten.
- Aufmerksamkeit, sprachliche und schulische Entwicklung: Übermäßige Internetnutzung und erhöhter Fernsehkonsum korreliert bei Schulkindern und Jugendlichen mit einem Aufmerksamkeitsdefizit. Das ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) wird als verminderte Fähigkeit zur Selbststeuerung bei Kindern und Jugendlichen beschrieben. Die Störung wird sichtbar an Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, starkem Bewegungsdrang (Hyperaktivität) und impulsivem bzw. unüberlegtem Handeln.
- Adiposogenes Verhalten: Der durch die exzessive Nutzung von Medien resultierende Bewegungsmangel einerseits und der hohe Anteil der Fernsehwerbung im Umfeld von Kindersendungen, der überwiegend ernährungsphysioloisch ungeeignete „Kindernahrungsmittel“ wie Burger und Süßigkeiten propagiert, reduziert die körperliche Fitness. In mehr als 30 Querschnittsuntersuchungen korreliert die Prävalenz von Übergewicht mit dem Fernsehkonsum. (Dtsch Arztebl 2007; 104 (38): A 2560-4)
Fazit: In immer stärkerem Maße sind die Massenmedien zu einem wesentlichen Sozialisationsfaktor für Kinder und Jugendliche geworden. Darüber hinaus prägen sie die Einstellung vieler Erwachsener. Zwei Drittel aller 12-19-Jährigen haben einen eigenen Fernseher auf ihrem Zimmer, mehr als die Hälfte besitzen einen eigenen PC und mehr als 90% nutzen ein multimediafähiges Handy, das sie rund um die Uhr bei sich tragen.
Über die Nutzungsdauer und Intensität habe ich bereits gesprochen.
Im Zuge der Nutzung unbegrenzter Medienangebote und dem Aufbrechen traditioneller Familien- und Gesellschaftsstrukturen ist das Ideal einer für alle Menschen verbindlichen Werteskala einer pluralistischen Werteordnung gewichen, in welcher der Individualismus des Einzelnen den zentralen Stellenwert einnimmt. Gerade für Kinder und Jugendliche haben Werte aufgrund fehlender Vermittlung oft Beliebigkeit oder gar keinen Stellenwert. Gilt der Individualismus einerseits als Ausdruck der Freiheit des Einzelnen, so wird er vor allem in Zeiten der Krise zum Problem für diesen und die Gesellschaft. Jüngere Entwicklungen, wie globaler Terrorismus, religiöser Fundamentalismus, Kriege und steigende Gewaltbereitschaft haben viele Menschen verunsichert. Sie suchen Halt und Orientierung. Werte sind gefragt, jedoch kaum vorhanden oder nicht bekannt. Wir müssen uns fragen, wie wollen wir vor diesen Realitäten Zukunft sichern und kulturelle Identität wahren?
Was bleibt zu tun?
Die Diskussion über die moralische Verantwortung von Produzenten und Programmverantwortlichen sollte intensiver geführt werden, auch Umfang und Methoden der Medienpädagogik müssen stärker auf den Prüfstand. Den Lehrern und in gleichem Maße den Eltern fehlen zu oft die erforderliche Kompetenz für eine effektive Führungsrolle bei einer sinnvollen Mediennutzung, die alle Endgeräte und Angebote mit einschließt und nicht ausgrenzt, denn wer unwissend und unbegründet ausgrenzt, ist als Autorität aus dem Rennen. Und wenn ich heute Abend nur einige von Ihnen sensibilisieren kann, sich dieser komplexen und anspruchsvollen Herausforderung erneut zu stellen, mit den Kindern und Jugendlichen in Ihrer Umgebung die Welt der ganzen Medien vorurteilsfrei und offen, aber wachsam zu erleben und dann mit den jungen Menschen das Erlebte zu evaluieren und gemeinsam nach Sinn und Mehrwert der einzelnen Angebote zu fragen, dann hat es sich schon gelohnt.
Denken Sie daran: Die Kernfragen der Menschen bleiben:
- Was ist Glück?
- Worauf kann ich hoffen?
- Gewissen, was ist das eigentlich?
- Was ist ein Leben wert?
- Wofür bin ich verantwortlich?
- Was bedeutet Erfolg?
- Was macht mir Freude?
- Werde ich geliebt? Wie kann ich lieben?
- Ist der Tod das Ende?
Menschen haben mehr denn je Sehnsucht nach GELINGENDEM LEBEN.
Kommen wir zu den guten Nachrichten des heutigen Abends. Einig sind sich die jungen Menschen, Gott sei Dank, bei den Inhalten, von denen sie glauben, sie verletzten grundlegende Werte und sollten verboten werden:
- Kinderpornografische Darstellungen und das freizügige Posieren von Minderjährigen lehnen 80% ab.
- Gewaltverherrlichung, Folter und Hinrichtungen (75%).
- Inhalte, die sich über Behinderte lustig machen (75%).
- Rassistische und rechtsextreme Inhalte (71% bzw. 70%).
Beim Katalog der Inhalte, die mindestens für Erwachsene erlaubt sein sollen, stehen Sexangebote (58%) und Pornografie (51%) an der Spitze. Seiten und Foren zum extremen Schlanksein und Abnehmen halten 49% für wichtig, aber auch Saufforen sollten nach Überzeugung von 49% der jungen Menschen weiter erlaubt sein. Während 50% der befragten Gotteslästerung und Blasphemie für die Verletzung grundlegender Werte erachten, wollen 40%, dass deren Verbreitung weiter möglich sein soll. Ein ganz interessanter Wert, auf den ich später noch einmal Bezug nehmen werde, wurde ermittelt mit der Frage nach der Einschätzung von Darstellungen, mit denen in den Medien Menschen lächerlich gemacht werden. Immerhin für 67% liegt eine Verletzung grundlegender Werte vor, wenn Menschen gedemütigt, erniedrigt oder öffentlich lächerlich gemacht werden. Wenn es jedoch um das Lächerlich-Machen von Respektspersonen und Personen des öffentlichen Lebens geht, dann finden das nur noch 45% verwerflich, immerhin 36% wollen diese Inhalte auch weiter ermöglicht sehen. (Quelle: Media Perspektiven 4/2010, Medien und Tabus: 420)
Die Menschen in unserem Land sind auch über alle Altersgruppen hinweg für das Thema „Christliche Werte“ mehrheitlich erreichbar. Ich hatte vor gut einem Jahr die ehrenvolle Aufgabe, im Auftrag des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland die gesamte Medienarbeit der EKD zu evaluieren. Ein wesentliches Ergebnis im Abschnitt Akzeptanzforschung war, dass der Adressatenkreis für explizit glaubensbezogene Kommunikationsanliegen der EKD mit ca. 20-25% der Bevölkerung begrenzt ist, aber für die weitergefasste Ausrichtung eines christlichen Wertediskurses rund Dreiviertel der Deutschen offen sind. Dazu gehören nach der Wertetypologie von Klages/Gensicke der traditionelle Konformist mit seinem Bekenntnis zu Glaube und Tradition (rund 23 % der Deutschen), der Wertetyp des non-konformen Idealisten mit säkular ausgeprägter Wertschätzung für Werte wie Toleranz, Solidarität und Gerechtigkeit (rund 20 % der Bevölkerung) und auch die pragmatischen Realisten (30 %) stehen dafür, etwas für sich und die Gemeinschaft tun zu wollen und dabei Zufriedenheit zu erlangen. Nur die Materialisten-Hedonisten und die perspektivlos Resignierten (zusammen 27 % der Deutschen) können mit einem Wertediskurs nicht erreicht werden.
(IBF EKD-Studie 2009, S. 62 ff.)
Dreiviertel der Deutschen wollen Werte. An dieser Stelle gilt es, Menschen abzuholen. Mit Geschichten, Berichten, vor allem aber mit Vorbildern, die Mut machen, den eigenen Weg zu gehen, ohne andere zu vergessen, Widerstand zu wagen, ohne zu verletzen, etwas zu riskieren für andere Menschen und für die eigenen Utopien und Wünsche.
Und genau da, bei den Vorbildern, bin ich besorgt. Uns fehlen die Vorbilder. Wir haben Eliten, aber warum melden sich diese nicht zu Wort? Es gibt sehr viele Mitmenschen, die selbstlos agieren und helfen, wo sie können. Aber gezeigt werden diese armseligen Kreaturen, die wir vorhin kennenlernen konnten.
Ich komme zurück auf die aktuelle Shell-Studie. Warum empfinden so viele junge Menschen das Lächerlich-machen von Menschen in öffentlichen Positionen als harmlos, wo sie es doch grundsätzlich ablehnen?
Wir erleben täglich Widersprüche und Entscheidungen in der Politik, die wir als ungerecht empfinden und uns oft fragen, wo das nötige Fingerspitzengefühl in der Politik bleibt. Denken Sie etwa an die Milliarden, die zur Bankenrettung aufgewendet wurden, während gleichzeitig den blinden Mitbürgern die Beihilfen gestrichen wurden und nur den Hartz IV-Empfängern das Elterngeld.
Das hat sicher auch etwas mit der Komplexität von Politik im globalen Kontext zu tun. Ich schätze Peer Steinbrück sehr, wir haben fünf Jahre in Schleswig-Holstein unmittelbar zusammengearbeitet. Ich bin mir aber auch nach Lektüre seines Buches nicht sicher, ob selbst er das ganze Ausmaß und die Wechselwirkungen der international fließenden Kapitalströme und das Netz weitgehend anonymer Akteure durchschauen konnte.
Das hat auch mit der besonderen Gemengelage in Bezug auf die politische Berichterstattung zu tun. Ich nenne es das „Problem 1:30“. Der Öffentlichkeit wird das Ziel eines politischen Veränderungswunsches in 1 ½ Minuten verkündet und das endgültige Ergebnis ebenfalls wieder in 1 ½ Minuten Berichterstattung. Allzu oft wird eine Maus geboren und Glaubwürdigkeit von Politik nimmt Schaden. Der ganze Prozess der Einflussnahme von Verbänden und Lobbyisten wird nicht transparent, fällt ins Loch knapper Zeitbudgets. Der Verbändestaat, den wir pervertiert haben, der Korporatismus macht das Land in weiten teilen unregierbar. Die Realität der Medienberichterstattung verlagert jedenfalls oft zu Unrecht die Verantwortlichkeit zu stark auf die politischen Entscheidungsträger.
Es hat aber immer auch mit der Widersprüchlichkeit unserer eigenen Lebensweise zu tun und nicht nur der Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik. Steht unser eigenes Verhalten im Einklang mit den Werten, die wir propagieren, die wir unseren Kindern vorhalten? Ich will mich hier nicht als Moralapostel aufspielen und bekenne mich selbst der Widersprüchlichkeit schuldig. Aber lassen Sie mich einige wenige Fragen zu Lebenswirklichkeiten stellen, aus denen sich bei jeder und jedem von uns Widersprüche ergeben können:
- Richten Sie nicht auch Ihr eigenes Denken und Fühlen zu sehr auf das eigene Wohlergehen und die eigenen Ziele aus? Wie viel Raum bleibt in Ihrem Denken und Fühlen für die Nöte und Bedürfnisse der anderen? Und wenn es nur die anderen in unmittelbarer Nähe sind. Schaden wir nicht unserer eigenen Glaubwürdigkeit allzu oft durch ein „Sich-Selber-viel-zu-Ernst-Nehmen“?
- Handeln Sie immer authentisch? Oder schlüpfen Sie auch in Rollen, um von sich, Ihren Ängsten und Schwächen abzulenken? Verwechseln Sie nicht auch viel zu häufig das Amt, das Sie bekleiden oder die Funktion mit Ihrer Person?
- Ist das Haben nicht auch für Sie oft ein Ersatz für das Sein? „Wenn Lebenssinn allein in der Teilnahme am allgemeinen Wettbewerb vermutet, Glück mit immer entsublimierteren Formen von Lust identifiziert wird, dann zeichnet sich dahinter der Umriss von Nihilismus ab: Verzweiflung am Lebenssinn – wenn der Wettbewerb aufgegeben werden muss oder die physiologische Lust fade geworden ist und nicht mehr ausreicht.“ (Iring Fetscher in: Was der Mensch braucht, S. 202)
Die schonungslose Frage nach dem eigenen Verhalten ist unbequem und wird sehr oft verdrängt, weil sie Mitschuld offenbart. Mitschuld am Werteverlust, Mitschuld an Akzeptanzverlust bei den Jungen.
Und lassen Sie mich hier an diesem Ort mit hohem Symbolkapital und Aura als bekennender Christ abschließend noch eines sagen:
Die christlich-abendländische Kultur hat ausreichend Antworten für den Menschen. Wichtigster Wert und Leitlinie ist dabei die Liebe, in der das Bedürfnis steckt nach Annahme, Respekt, würdevollem Umgang miteinander sowie dem Willen zur Verständigung und Versöhnung.
Ein verständnisvolles Herangehen an andere Lebens- und Denkweisen setzt ein Bewusstsein von den eigenen Wertvorstellungen voraus. Wer weiß, was ihm warum etwas „wert“ ist, wird eher verstehen, dass anderen anderes wert ist. Wo man zurückstehen sollte, und wo man es von anderen verlangen darf. Vor dem Verstehen der anderen steht deshalb ein Mindestmaß an Verstehen der eigenen kulturellen Herkunft. Nur wenn die Protagonisten einer christlich-abendländischen Tradition aus ihrer Verteidigungshaltung herauskommen und ein eigenes Deutungs- und Interpretationsrecht geltend machen, können sie endlich aus der mich belastenden Selbstverteidigungshaltung gegenüber dem Deutungsmonopol Dritter herauskommen. Christliche Werte und unsere christliche Kultur und Herkunft haben so viel für Menschen zu bieten, Toleranz, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit, um nur einige zu nennen, die ich in anderen Kulturkreisen sehr vermisse. Ich gebe zu, lange sind wir auch noch nicht auf diesem tugendvollen Weg. Schon die Kreuzritter hatten Morgenstern und Schwert nicht als Obstbesteck dabei, die zweifelhafte Rolle der katholischen Kirche im Dritten Reich wollen wir auch nicht vergessen, aber es hat sich in den letzten 60 Jahren eine Menge getan und heute sind wir in Bezug auf Gleichberechtigung, Umweltbewusstsein und Toleranz sehr vielen voraus. Wir können uns sehr selbstbewusst zu unseren Werten bekennen und sollten es auch tun. Wo Staat und Politik keine gemeinsame Identität stiftenden Instrumente für die Menschen säkularer Mentalität und Lebensführung mehr haben, schafft dieses bedauerliche Vakuum neue Wirkungs- und Überzeugungspotenziale für unsere christliche Werteordnung. Und wir sollten es nicht den Kirchen überlassen, die haben auch ein schwieriges Problem mit aktuellen Vorbildern.
Es ist das bürgerliche Engagement gefragt, zu dem sich Rotarier –Gott sei Dank- bekennen. Lassen Sie bei Ihren Bemühungen die Medien nicht außer Acht. Kümmern Sie sich um die Bedürfnisse und Gewohnheiten junger Menschen in ihrem medialen Verhalten. Auch wenn Ihnen vieles fremd ist, versuchen Sie zu verstehen, aber bleiben Sie wachsam. Unsere Kinder suchen nach Werten und Orientierung, werden aber an unserer Werteordnung vorbei sozialisiert, wenn wir weiterhin zulassen, dass Informationen und absurde Unterhaltung ungefiltert und vor allem unreflektiert auf unsere jungen Menschen wirken kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.